Vor einer Woche wurde ich zu einem „Crashkurs Schweine in Kleinsthaltung“ eingeladen. Durchgeführt durch die Landwirtschaftskammer NRW, die im Rahmen des „Netzwerk Fokus Tierwohl“ Hobbyschweinehaltern erklären will, wie das Verhältnis von Mensch und Schwein besser werden soll.
Über diese Einladung hatte ich letzte Woche bereits berichtet und gefühlt mit dem Fuß aufgestampft. Schweinenutzer und Schweinequäler sollen mir was erzählen, damit ich Schweine besser verstehe und sie „tierwohlgerechter“ halten kann? Ist doch wohl ein Scherz, oder?
Aber es war und ist keiner. Und obwohl ich Stein und Bein geschworen hatte, dieser Einladung nicht zu folgen, tat ich es am Ende doch. „Kenne Deinen Feind“ ist eine Redensart abgeleitet aus dem Buch „The Art of War“ von Sun Tzu. Dieses Argument meiner Frau und ein weiterer Push unserer zweiten Vorsitzenden waren es dann, die mich auch in die erste der insgesamt 4 „Lektionen“ hat hereinschauen lassen.
Am Ende passierte genau das, was ich als primärer Tierrechtler und Schweineliebhaber befürchtet hatte: Der Zorn über den Ablauf und die „Argumente“ in den zwei Vorträgen haben mir den Schlaf in dieser Nacht gekostet.
Angefangen hatte das Seminar „Schweine in Kleinsthaltung“ mit einer Einleitung durch die Tierwohl-Multiplikatorin und Leiterin der Sitzung, die jedoch bemüht schien, der Veranstaltung einen netten Rahmen zu geben. Sie stellte dazu das Projekt „Focus Tierwohl“ vor, das sich aber primär rund um die landwirtschaftliche (Aus)Nutzung von Tieren dreht. Warum Heimtierhalter, deren Liebe zu Schweinen das primäre Anliegen hätte sein sollen, am Ende hauptsächlich über Kastenstände, Schlachtgewicht und der Sinnigkeit von Tierversuchen und der tollen Erfindung des Göttinger Minischweins belehrt wurden, ist mir auch nach mehreren Stunden danach noch schleierhaft. Aber der Reihe nach.
Nach der Einleitung gab es dann einen Vortrag von Herrn Dr. Jürgen Harlizius. Fachtierarzt für Schweine bei der Landwirtschaftskammer NRW. Sein Vortrag hinterließ bei mir und so manchem Teilnehmer einen gemischten Eindruck. Zwar war das Bemühen zu erkennen, der hauptsächlich anwesenden Klientel der Heimtierbesitzer gerecht zu werden, aber es wurde auch sehr deutlich, dass der Hintergrund von Dr. Harlizius eben auch der eines Tiernutzers ist. Das zum Abschluss des Vortrages sichtliche „Schwärmen“ über die tollen Herzklappen der Schweine, die direkt im Schlachthof für die Humanmedizin entnommen werden, zeigte das überdeutlich. Schweine als Ersatzteillager für die Menschen. Tolle Sache.
Dennoch war der Vortrag über die Domestikation bisweilen interessant, auch wenn er nichts Neues für einen echten Schweinefan zu bieten hatte. Die Erklärung der Anatomie der Schweine war dann eher das Highlight der 3-stündigen Veranstaltung. Und anschließend beantwortete Herr Dr. Harlizius auch einige Fragen der Zuschauer.
Insgesamt aus der Brille des Tierrechtlers, Schweineliebhabers aber auch Schweine-Papas konnte sein Vortrag die Schulnote „Noch Ausreichend“ ergattern. Es wäre dort mehr drin gewesen, wenn der Vortrag auch ein wenig mehr auf das hauptsächlich anwesende Zielpublikum der Heimtierhalter (immerhin nach Umfrage 70 %) ausgerichtet gewesen wäre.
Trotz des offensichtlichen landwirtschaftlich geprägten Backgrounds (wenn man bei der Landwirtschaftskammer arbeitet eine Einstellungsvoraussetzung), wäre die Veranstaltung bis dahin noch halbwegs akzeptabel gewesen. Auch, wenn das Zielpublikum nicht wirklich erreicht wurde.
Dies hätte mit dem anschließenden Vortrag von Herrn Dr. Christian Reimer von der Uni Göttingen eigentlich besser werden sollen. Denn schließlich ging es bei seinem Vortrag um die Entstehung des „Göttinger Miniaturschweins“, welches letzten Endes für die vielen anwesenden Minischweinehalter doch ein interessantes Themengebiet vermuten ließ. Schließlich sind die meisten Heimschweine eben doch Minischweine und keine großen Schweine, wie ich sie in der Familie habe.
Den Vortrag begann Herr Dr. Reimer auch mit einem für uns Tierrechtler und Tierschützer guten und unterstützenswerten Statement: Die Minischweinezucht in Deutschland durch private Vermehrer ist durchweg kritikwürdig. Ein innerer Jubelschrei fand auch den Weg in den Textchat, denn auch wir halten die Vermehrung durch selbsternannte Minischweinezüchter für ein kritikwürdiges Thema. Es gibt genügend Minischweine aus „zweiter Hand“ und es werden täglich mehr.
In diesen Zeiten Züchtern dieser Tiere das Geld in den Rachen zu werfen, ist eine absolute Schande. Wird aber durch die Bank durch verblendete und falsch informierte Menschen Tag für Tag praktiziert. Wir Tierschützer bleiben am Ende häufig mit der Verzweiflung darüber zurück, dass diese gezüchteten Tiere in Bälde wieder einen neuen Platz benötigen oder vielleicht auch beim Schlachter oder Metzger landen. Ein Phänomen, das uns schon seit über 20 Jahren begleitet.
Doch zurück zum Vortrag von Dr. Reimer. Nach dieser doch erfreulichen Aussage wurde alsbald klar, dass auch er ein Tier-Ausnutzer erster Kategorie ist. Denn im nächsten Satz wurde die im Chat durch mich geübte Kritik an Vollspaltenböden mal eben pauschal negiert. Vollspaltenböden hätten wegen der Hygiene ihre Berechtigung und auch die Uni Göttingen hält ihre Versuchsschweine eben auf diesen wunderbaren Böden.
Klar, dass sich die Tiernutzer nicht selber in die Pfanne hauen wollen und nach Rechtfertigungen suchen. Aber bei dieser Aussage beließ es Dr. Reimer am Ende nicht einmal. Es kamen auch noch die klassischen Rechtfertigungen für den Kastenstand hinzu. Weil die Schweinemütter nunmal ihre Kinder erdrücken. Und Ferkelsterblichkeit eben ein großes Problem ist.
Spätestens damit wurde klar, dass auch hier die Tiernutzung die Couleur des Vortrages prägen würde. Und so verkam der Vortrag auch eher zu einer Rechtfertigungs- und Schönrede-Veranstaltung von Tierversuchen mit den armen Schweinen. Den Göttinger Minischweinen, auf die Herr Dr. Reimer auch irgendwie stolz schien. Schließlich sind sie eine reine Zuchtlinie, anders als die von den Heimtierhaltern gehaltenen Irgendwas-Minischweine.
Warum man der überwiegenden Mehrheit der anwesenden Heimtierhaltern einen Vortrag in dieser Art und Weise halten musste, erschließt sich mir wirklich nicht. Zumal Herr Dr. Reimer auch nicht davor zurückschreckte, Genetik und weitere Felder zu beleuchten, die dann nur für die wenigen Minischweinzüchter von Interesse gewesen wären.
Einen ganz schlimmen faden Beigeschmack erhielt der Vortrag aus meiner Sicht auch durch die Aussage, dass alle Landwirte ihre Tiere lieben würden. Und ein Landwirt – auch wenn er die Schweine zum Schlachter bringt – seine Tiere immer schätzt und liebt.
In welcher Welt Herr Dr. Reimer lebt, war ab dem Zeitpunkt klar, auch als er seinen eigenen landwirtschaftlichen Background erwähnte: Die Nutzung von Schweinen und anderen Nutztieren ist okay. Nicht zu kritisieren. Nicht der Vollspaltenboden, nicht der Kastenstand, nicht das Schlachten und nicht die Tierversuche. Alles notwendig und gut so.
Dass am Ende dann auch noch erwähnt wurde, dass einige der Versuchstiere in den Reinbedingungen des Labors 14 Jahre alt werden und das ja auch ein Beweis der tollen Haltung dort ist, ließ den Vortrag in meinen Augen gänzlich zur Farce werden. Die Tiere überleben in unwirtlichen und unnatürlichen Bedingungen also bis zu 14 Jahre. Man muss sich ein solches Leben in klinischen Umständen ohne Boden, ohne Sonne, ohne Wind, ohne Bäume, ohne Liebe, dafür mit Testreihen und quälerischer Ausnutzung mal vorstellen.
Alles schön hygienisch bei der Uni Göttingen also. Schön rein und Deutsch. Kann man stolz darauf sein. So wie Herr Dr. Reimer es auch ist. Der den Vortrag mit einem Bild seiner Kolleginnen und Kollegen von der Uni abschloss in dem der eigene (geliebte?) Hund mit posieren durfte.
Liebe für Schweine? Die hat Herr Dr. Reimer in meinen Augen nicht. Kein Stück. Auch wenn er betonte, dass er die Vorgänge in den einschlägigen Minischweingruppen auf Facebook mitverfolgt und kritisiert. Aber er kritisiert sie nicht primär aus Tierwohlgründen und Liebe zum Schwein. Sondern als Hüter der einzig wahren und reinen Minischweine. Der Göttinger Minischweine, auf die sie so stolz sind.
Dieser zweiter Vortrag hat den ersten Tag des viertägigen Crashkurses aus Tierschutz, Tierrecht und auch „Tierwohl“-Sicht vollends an die Wand gefahren. Eine bessere Vorbereitung rund um die Frage, welche Menschen sich diesen Crashkurs antun werden, wäre sinnvoll gewesen. Ich kann nur hoffen, dass die nächsten Vorträge nicht weiterhin geprägt sein werden von Rechtfertigungen und Postulierungen, warum wir Schweine eben ausnutzen und quälen können.
Sind ja nur Schweine. Oder Minischweine. Mit denen können wir Menschen alles machen. Sind ja nur Nutztiere laut Gesetz. Und die Gesetze werden eines der nächsten Themen sein. Als echter Schweineliebhaber und Kämpfer für das Lebensrecht der Schweine graut es mir schon vor den Rechtfertigungsexkursen zu diesen Machwerken im nächsten Tag des Crashkurses.
Neueste Kommentare