Der Blick in den Abgrund
Wochenlang hegten wir die Hoffnung, dass wir Helga und Gundel bald retten könnten. Ihnen das nackte Leben retten dürfen. Doch dann kam die Afrikanische Schweinepest. Dass die überlebenden Schweine von Alt Tellin ausgerechnet nach Brandenburg gebracht wurden, stellte sich im Nachhinein als weiterer Schicksalsschlag für die Tiere heraus.
War das nun das Ende unserer Bemühungen? Wir waren geknickt und wussten kaum noch weiter. Doch Jutta wollte nicht aufgeben. Zu lange hatte sie sich schon für Helga und Gundel eingesetzt. Und so sagte sie uns „Dann fahre ich halt zum Schlachthof und spreche direkt mit denen …“
Uns stockte der Atem. Wir wollten uns gar nicht vorstellen, was Jutta dort erwarten würde. Direkt vor Ort und auf dem Gelände eines der verhassten Höllenorte, an dem so viele unschuldige Seelen ihr gewaltsames Ende finden. „Ich schaffe das schon“, sagte Jutta. „Für Helga und Gundel …“.
Wir waren uns sicher, dass Jutta auch diesmal einen Weg finden würde, als Privatperson Gehör für eine ungewöhnliche Bitte zu finden. Und so warteten wir auf ihren Bericht an einem Donnerstagnachmittag mitten im September.
Jutta fuhr also nach Kellinghusen. Diesmal meinte es das Schicksal wenigstens mit Jutta gut. Denn ausgerechnet an diesem Tag wurden keine Tiere angeliefert. Nach einem kurzen Gespräch mit dem Pförtner rief dieser tatsächlich Kollegen aus dem Vertrieb hinzu. Jutta schilderte ihren Wunsch, zwei lebende Schweine zu erstehen. Eine Bitte, die dort noch niemals vorgetragen wurde. Und durch ihre offene und lockere Art gelang es Jutta, die Mitarbeiter des Schlachthofes um Hilfe zu bitten. Sie übergab die Kontaktdaten für den Viehhandel Venneker sowie der LFD und man wollte sich bis zur nächsten Woche mit ihr in Verbindung setzen.
Wieder ein Wochenende zwischen Hoffen und Bangen für uns alle. Jutta war durch ihren Besuch äußerst mitgenommen. Aber ihre eigenen Tiere schafften es, sie wieder aufzumuntern. Und die Hoffnung, dass es noch nicht zu spät war für Helga und Gundel.
Das Wochenende verging und dann kam der Rückruf des Schlachthofes. Man hatte keine guten Nachrichten für Jutta. Die Tatsache, dass die Schweine in einem Beobachtungsbezirk zur Afrikanischen Schweinepest standen, machte es schier unmöglich, zwei Tiere zu retten. Die Verplombung der LKW durfte nur auf dem Schlachthof geöffnet werden und die Tiere dürften diesen auch nicht lebendig verlassen. Nicht für Geld und gute Worte.
Warum Tiere, die offensichtlich nicht an der ASP erkrankt sind, nicht doch weiterleben durften – diese Frage konnte uns niemand beantworten. Die gesamten Regelungen des Tiergesundheitsgesetzes und der Schweinepestverordnung sind nur auf die Fleischindustrie ausgerichtet. Um das Erhalten von Leben geht es weder den Behörden, noch den Politikern und Gesetzgebern oder der Tierindustrie. Am Ende versteckt man sich hinter Gesetzen, die von Tiernutzern für Tiernutzer geschrieben wurden.
Doch wir alle wollten immer noch nicht aufgeben. Es kann doch nicht sein, dass einem Rettungsversuch für die Schweine von Alt Tellin ausgerechnet ein dusseliges Gesetz und eine Behördenverordnung entgegensteht.
Und so versuchten wir ein weiteres Mal, die direkte Öffentlichkeit zu erreichen und Hilfe von schlagkräftigen Organisationen und der Presse zu bekommen. Wir kontaktierten zeitgleich den Deutschen Tierschutzbund, Peta sowie den Norddeutschen Rundfunk.
Dem NDR schilderten wir ausführlich unsere Bemühungen und die Probleme, die wir nun bei der Rettung zweier Schweine von Alt Tellin hatten. In der Hoffnung, dass wir durch einen Bericht genügend öffentlichen Druck auf alle Beteiligten in diesem Szenario ausüben könnten.
Doch der NDR zeigte kein Interesse. Eine Antwort blieb trotz zweimaliger Nachfrage aus. Auch wenn der NDR über Alt Tellin mehrfach berichtete, war das Interesse an überlebenden Schweinen gleich null. Helga und Gundel und all ihre Artgenossen haben in diesem Land keine Lobby. Weder die verbrannten noch die überlebenden Schweine von Alt Tellin waren jemals wirklich im Zentrum der Berichterstattung. Empathie für diese intelligenten, sozialen und liebenswerten Tiere gibt es nicht in einem Land, das sich augenscheinlich rühmt, Vizeweltmeister im Schweinefleischexport zu sein.
Unsere letzte verbliebene Hoffnung zu diesem Zeitpunkt war Herr Lange vom Deutschen Tierschutzbund in Brandenburg. Er versuchte in unserem Auftrag hartnäckig über den Viehhandel Venneker noch etwas zu erreichen. Am Ende hieß es von dort nur noch „Alle Schweine von Alt Tellin sind längst tot…“.
Aber wir konnten nicht sicher sein, dass dies nur eine Aussage wäre, um uns endlich loszuwerden. Daher schrieben wir Anfang November direkt und ohne Umschweife an den Geschäftsführer der LFD, René Drews. Eine Antwort erhielten wir auch diesmal nicht. Aber erwartet haben wir sie auch nicht wirklich.
Monatelange Arbeit scheint also vergebens gewesen zu sein. Unsere Helga und unsere Gundel sind wahrscheinlich nicht mehr am Leben. Doch mit Bestimmtheit werden wir das nicht sagen können. Nur eines: jede Minute, die wir für sie gekämpft haben, war es wert. Für uns und die Schweine von Alt Tellin. Die wir niemals vergessen werden.
Welches Fazit wir aus unserer Arbeit ziehen und ob wir immer noch Hoffnung haben, könnt ihr im letzten Teil unserer Artikelreihe lesen.
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