Xanten am Niederrhein. Der tiefe Westen von Deutschland. An diesem Morgen wachen drei Ferkel in einem Schweinebetrieb auf. Zusammen mit vielen Hundert anderen Schweine. Müttern, die neben ihren Ferkeln eingesperrt liegen. Andere Sauen, die auf Stroh in einer großen Gruppe leben. Und auch ein Eber, der sein Leben aber hauptsächlich in einem engen Abteil fristen muss.
Sie alle sind nicht frei. Nicht in Sicherheit. Sie alle werden genutzt. Für Menschen, die niemals in das Gesicht der Tiere schauen mussten, die sie danach anonym auf dem Teller wiederfinden. Die meisten dieser Schweine aus Xanten dürften inzwischen tot sein. Ein widerlicher Zyklus, angefeuert vom Fleischkonsum jener Menschen, die es für normal halten, eine andere Spezies zu nutzen.
Die drei Ferkel befinden sich an diesem Morgen in einer besonderen Box. Mit Stroh, aber getrennt von ihren Geschwistern, mit denen sie vorher noch zusammen waren. Zwei der Ferkel sind echte Geschwister, liegen eng gekuschelt, wie sie es auch vorher sicherlich getan haben. Das dritte Ferkelchen hatte einen anderen Geruch, kam von einer anderen Mutter. Er wird von den anderen beiden zunächst ausgestoßen, denn Schweine haben eine soziale Struktur. Neuankömmlinge müssen sich erst in die Rangordnung einleben. Dieser kleine Schweinemann ohne Namen ist gestresst und wird danach auch krank werden. Aber: er wird überleben. Leben dürfen. In Würde und Sicherheit und Schönheit.
All das wissen diese kleinen Ferkel aber nicht. Während sie am frühen Morgen in Xanten aufwachen, bereiten sich zwei Menschen auf einen großen Tag vor. Packen die Transportkisten in das Auto und fahren vom Hof in Heinsberg los. Mission Schweinerettung, die bereits viele Wochen läuft, geht in die entscheidende Phase.
Aber nicht nur Schweine werden hier gerettet: auch die Seele eines Menschen, der viele, viele Jahre seine Liebe zu Schweinen vergraben und weggesperrt hat. Aufgrund des Schmerzes und des Leidens, des Horrors der Deutschen Tierindustrie, den er bereits in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts hat live miterleben müssen. Und daran zerbrach.
Auch dieser Mensch sollte an diesem Tag gerettet werden. Aber er wollte es noch nicht so richtig glauben. Was würde ihn am Ende der Fahrt erwarten? Könnte er es überhaupt ertragen, drei Schweine aus einer „schöneren“ aber dennoch widerlichen Hölle zu befreien. Nur um am Ende wie damals in Schleswig-Holstein, dem furchtbaren Ort Negernbötel, Tausende Schweine zurückzulassen?
Drei kleine Ferkelchen verließen an jenem 25.07.2020 den Hof in Xanten. Drei Schweine vom „Niederrheiner Strohschwein“, die nicht in den Tod, sondern in das Leben gefahren wurden. Drei namenlose Schweine wurden zu Personen. Persönlichkeiten waren sie ohnehin schon – aber ungesehen in einer Masse, die nur den egoistischen Zwecken der Menschen zu dienen haben.
An diesem Tag wurden aus ihnen Freya, die kleine Sau, die immer für ein kleines Leckerchen alles tut. Gandhi, der große Brummbär mit der einzigartigen Stimme, der immer noch jeden kleinen Krümel aus den Näpfen rausholt. Und Loki, der Halbbruder und das rangniedrigste Tier, der sich immer gerne hinlegt und seinen Bauch zum Streicheln entblößt. Und bei der Bauchmassage in einen wunderbaren Grunz-Gesang verfällt, in dem wir die Dankbarkeit für die Rettung aus der Hölle in jedem Ton vernehmen.
Wir werden den 25. Juli 2020 nicht vergessen. Den Tag, an dem drei Schweine in unser Leben traten und es für immer verändert haben. Nicht nur drei Schweine wurden an diesem Tag gerettet. Auch das Leben zweier Menschen hat sich zum Guten gewendet.
Freya, Loki und Gandhi werden gleich wach. Am Tag 729 nach ihrer Rettung. An dem sie immer noch leben und wir sie lieben. Wir freuen uns mit ihnen. Aber denken auch an die Schweine, die wir zurückgelassen haben. In einer etwas freundlicheren Hölle der Haltungsstufe drei. Doch am Ende ist auch das eine Hölle mit nur einem Ziel: den Mord an unschuldigen Tieren.
Hölle bleibt Hölle. Mord bleibt Mord. Nur die Liebe wird uns alle befreien. So wie sie es für Freya, Loki und Gandhi getan hat. Sei Teil dieser Liebe – nicht der Hölle.
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