In unserer Arbeit im Tierschutz und Tierrecht werden wir als Verein und Lebenshof täglich mit furchtbaren Nachrichten überschüttet. Und leben mit der Gewissheit, dass wir Millionen von Tieren niemals helfen können. Diese Bürde müssen wir als tierliebe Menschen tragen und es fällt schwer. Jeden Tag.
Wie alle Menschen können wir das Leid nicht unendlich lange ertragen. Und möchten uns stattdessen auch mit der schönen Seite der Liebe zu Tieren beschäftigen. Mit den geretteten Tieren, die ein vermeintliches Happy End erleben, statt den Tod im Schlachthof von Tönnies oder anderswo.
Retten um des Rettens willen
Und es ist genau dieser Wunsch nach einem schönen Ende, der viele Menschen umtreibt. Die Rettung von Tieren ist durch die sozialen Medien wie Facebook und Twitter längst zu einem veritablen Geschäftsmodell durch manche Vereine und Privatpersonen geworden. Wie konnte es dazu kommen? Was sind die Anzeichen dafür, dass Ihr es mit beginnenden Tiersammler:innen oder Tier-Messies zu tun habt? Ab wann wird aus einem Lebenshof ein „Überlebenshof“ bei dem die Rechte der Tiere ebenfalls – wenn auch weniger drastisch – mit Füßen getreten werden?
Wir beleuchten das am Schicksal der Schweine, für die wir uns leidenschaftlich einsetzen. Aber unsere Argumentationen sind natürlich auf alle anderen Tierarten genauso übertragbar. Also, was braucht ein Schwein, damit es wirklich glücklich ist. Und was sind die Eigenarten der Spezies, die durch jeden Tierschutzverein und jede Privatperson gewürdigt werden müssen?
Das Stille Leid der Schweine
Schweine sind intelligent. Das ist Tierfreund:innen, Tierschützer:innen und Tierrechtler:innen zwar längst bekannt, muss aber durch uns nochmal außerordentlich betont werden. Denn mit der Intelligenz der Tiere kommt eine große Herausforderung. Ihre Neugier und Intelligenz gehen Hand in Hand – oder in ihrem Fall Nasenspitze zu Rezeptoren.
In der freien Wildbahn durchstreifen Wildschweine ein großes Revier. Immer auf der Suche nach Essbarem, aber auch nach etwas „Neuem“. Sie leben von Natur aus im Wald, auch wenn sie nun durch die Beschneidung ihrer Lebensräume längst die urbanen Bereiche der Städte erreicht haben.
Unsere Hausschweine – egal ob das possierliche Minischwein oder die stattliche, ehemalige Zuchtsau – haben ebenfalls diese Bedürfnisse. Ein ausreichend großes Revier, Abwechslung und durch ihre Intelligenz und Sozialstruktur binden sie sich auch in einem außerordentlichen Maße an „ihre Menschen“. Die menschliche Fürsorge bildet im Bereich des Lebens mit den Schweinen einen wichtigen Punkt, den wir keinesfalls ignorieren dürfen.
Doch die Last der Millionen getöteten Schweine Jahr für Jahr lastet wie eine kolossale Bürde auf uns tierliebe Menschen. Den Menschen, die wissen, wie Schweine leiden. Der Wunsch, wenigstens der ein oder anderen Seele, dessen Schicksal uns gerade berührt, ein gutes Leben zu schenken, ist stark.
Und so kommt es immer wieder vor, dass Menschen versuchen, gerade das Schwein X vor der drohenden Schlachtung zu retten. Schnell wird der Hilferuf auf Twitter, Facebook und Co. geteilt, in der Hoffnung, ein Leben zu retten. Etwas Gutes zu tun.
Dieser Hilferuf entwickelt oft eine Eigendynamik und es wird Druck aufgebaut. Ein Lebensplatz muss noch morgen her „oder sonst Schlachtung“. Verzweiflung pur für die Menschen, die involviert sind. Auch wir kennen diese Gefühle, arbeiten wir doch schon seit über 20 Jahren in der Materie. Hunderten, wenn nicht gar Tausenden von Schweinen mussten wir „Nein“ sagen. Kein Platz da. Keine Chance.
Platz ist nur durch mehr Platz zu ersetzen
Und Platz da – dies ist genau der wichtige Punkt, um den sich unser Plädoyer dreht. Es ist eine schwierige Materie und wir sind uns bewusst, dass wir mit unseren Aussagen den Zorn gewisser Tierfreund:innen auf uns ziehen. Denn für uns muss ein Platz auch immer ein guter Platz sein. Ein Lebensplatz – kein Überlebensplatz. Damit das Leben nicht zur Qual wird.
Schweine brauchen ausreichend Lebensraum. Und Lebensraum ist nur durch mehr Lebensraum zu ersetzen. Für eine ausreichende Unterbringung eines Minischweines veranschlagen wir 200 m² Lebensraum pro Tier – also mindestens 400 m² für zwei Minischweine.
Die großen Schweine brauchen nochmals mehr Raum: mindestens 700 m², aber besser 1000 m² aufwärts für die Schweine, die weit über 200 kg Gewicht erreichen.
Das klingt erst einmal nach viel Raum, aber die Realität bei der Unterbringung von Schweinen diktiert uns diese Regel: denn Schweine sind keine Weidetiere. Sie sind Tiere des Waldes. Mit ihrer wunderbaren Nasenscheibe suchen sie permanent den Boden ab. Wühlen und graben. Sehr schnell wird aus einer Wiese ein Acker. Und im Winter eine Sumpflandschaft. Das geschieht um so schneller, je mehr Tiere sich die Fläche teilen müssen.
Der Aspekt, der uns dabei antreibt, ist einerseits die Qualität des Lebensraumes, den die Schweine erleben dürfen. Zu schnell riecht für die Schweine alles nach Exkrementen, wenn zu viele Tiere auf engem Raum leben. Ihre Nasen sind viele Tausend mal feiner als unsere. Wenn wir schon merken, dass es riecht, ist es für die Schweine höllischer Gestank. Das Gelände leidet, die Schweine leiden.
Für den Rest ihres Lebens
Hinzu kommt: Die Schweine werden den Rest ihres Lebens auf dieser Fläche „leben“ müssen. Hunden und anderen Tieren können wir Spaziergänge und Auslauf bieten. Echten Familienanschluss inklusive. Die Schweine müssen im Gehege bleiben. Es ist in Deutschland verboten – ob nun aus gutem Grund oder nicht – mit Schweinen spazieren zu gehen. Also keine neuen Gerüche und Eindrücke für die intelligenten Schweine. Intelligenter als unsere Hunde. Aber dennoch sperren wir sie weg. Müssen sie wegsperren.
Und hier kommen wir dann in das Dilemma, dass wir als Kämpfer:innen für die Schweine sehen: gute Plätze für Schweine fallen nicht vom Himmel. Sie wachsen nicht auf Bäumen. Im Gegenteil: in einem guten Schweinegehege müssen eben diese Bäume wachsen.
In der emotionalen Notlage, in der sich viele Tierfreund:innen sehen, werden solche Aspekte nur zu schnell beiseite gelegt. Das Tier muss gerettet werden. Koste es, was es wolle. Damit ein Leben nicht ausgelöscht wird. Jeder Platz ist dann ein „ausreichender Platz“.
Dann wird das Schwein schnell auf Privathof X oder Verein Y untergebracht, der sich bereit erklärt doch noch das eine Schwein unterzubringen. Der Erfolg wird auf den sozialen Medien gefeiert und man fühlt sich gut. Bis der nächste Notruf kommt und das Spiel von vorne losgeht. Das eine Schwein wird dann schnell vergessen. Kontrollbesuche, ob das Leben wirklich lebenswert ist, finden nicht statt. Oder die neuen Lebensretter versuchen alles, um die wahren Lebensumstände der Tiere zu kaschieren. Die Mitretter:innen sind schon zum nächsten Schwein weitergezogen.
Geschäftsmodell Tierrettung und Tiersammlung?
Längst gibt es „Tierschutzvereine“, die aus der Tierrettung ein Geschäft gemacht haben. Oder die so viele Tiere bei sich aufgenommen haben, dass der Ausdruck Tiersammler:in und Tier-Messie angebracht ist.
Sieben große Schweine auf 700 m² Grundstück? Kein Problem. Fotos im Internet schauen sich die meisten Menschen nur rudimentär an. Ob die Tiere gut versorgt werden und nicht nur „abgefüttert und sauber gemacht“ kann man auf Fotos nicht erkennen. Ein paar philosophisch angehauchte Texte über Tierrecht im Foto reichen auch aus, um die wahren Zustände zu kaschieren. So eine Tierretter:in oder so ein Verein tut doch offensichtliches Gutes, oder?
Wenn die Fotos außer Stroh oder einer braunen Erdmasse im Hintergrund nichts zeigen, sollte man als Tierfreund anfangen nachzudenken. Auch beim Besuch eines solchen „Lebenshofes“ muss man verstehen können, was der Unterschied zwischen Leben und Überleben ist.
Dann gibt es noch Vereine, die vorgeben, einen Tierheimbetrieb durchzuführen. 20 Tiere auf weniger als 1000 m² – große und kleine Schweine. Bei einem Tierheim drücken wir gerne die Augen zu, oder? Die Menschen bemühen sich immerhin, die Schweine weiterzuvermitteln. Doch die Realität ist: Vermittlungen sind schwierig. Auch beim neuen Platz der Tiere gilt es, einem hohen Standard gerecht zu werden. Damit die Tiere wirklich leben können.
Die sozialen Medien als Anpeitscher
Doch beim täglichen Druck auf den sozialen Medien und Gruppendruck wird dann auch bei der Vermittlung der Schweine gerne ein Auge zugedrückt. „Passt scho“ ist dann die Devise. Hauptsache vermittelt. Damit man sich feiern lassen kann. Man hat schließlich wieder erfolgreich bewiesen, was man für eine tolle Tierschützer:in ist. Ob die Tiere beim neuen Leben wirklich leben dürfen, interessiert die Gefolgschaft dieser Retter:innen weitaus weniger als der gemeinschaftliche Jubel, der die Gemeinschaft über die Richtigkeit des Weges weiter bestärkt.
Dann gibt es sogar noch die ganz perfide Form der Schweinerettung: von einem Knast in den nächsten. Vermeintlich gerettet aus der Massentierhaltung mit nur 1 m² Lebensraum. Ab in den nächsten umgebauten Maststall. Betreut durch einen „bekehrten“ Veganer-Landwirt. Der sich als Arbeiter allein um die hunderte Tiere des Stalles kümmern muss. Wenn mal etwas Schlimmes passiert, dann ist allein dieser Betreuer Schuld, niemals der auftraggebende Verein.
Als Verein postet man dann schöne Bilder von Schweinen im Stroh. Denn Schweinen im Stroh – denen muss es ja gut gehen, oder? Patenschaften werden gesammelt, während die Tiere still leiden. Für den Rest ihres irdischen Lebens. Auf vielleicht 5 m² Lebensraum. Ein Überlebenshof? Nein, fast schon eine lebenslange Hölle mit „grünem Anstrich“. Greenwashing im Tierschutz und Tierrecht gibt es leider auch. Augen auf statt Scheuklappen heißt daher die Devise für alle Unterstützer:innen.
Auch dieser besagte Verein hat eine treue Gefolgschaft. Eine Gefolgschaft, die nicht hinter die Kulissen blickt. Die nicht wahrhaben will, dass hinter dem Vorhang ein Mensch die Strippen zieht, der das Leben der Tiere längst aus dem Blick verloren hat.
Wann immer Kritik an dieser Institution geäußert wird, heißt es unisono: willst Du, dass die X Tiere sterben und tot sind?
Als Alternative nur der Tod?
Nein, das wollen wir auch nicht. Aber es ist Zeit, dass auch der Tierschutz diejenigen erkennt, die es nicht gut mit den Tieren meinen. Die Tiere und ihre Bedürfnisse müssen unser erstes Augenmerk sein. Nicht unsere Gefühle und ob wir mal wieder eine Dosis „Schulterklopfen“ für unser Ego brauchen.
Schweine brauchen Platz. Viel Platz. Sie brauchen Liebe und Fürsorge. Sie sollten nicht gestapelt werden, mit wenig Auslauf, der durch die Exkremente der Tiere längst unendlichen Schaden genommen hat. Und gerettete Schweine bei einem Landwirt in den Stall zu packen, das ist der absolute Affront und Verrat an den Tieren. Eine Schande.
Ihr Tierfreund:innen, Tierschützer:innen und Tierrechtler:innen seid mitverantwortlich. Wenn Ihr solche Projekte weiterhin unkritisch betrachtet. Nicht hinter die Kulissen guckt. Wenn Ihr das nächste Mal ein Foto von einem Schwein auf Stroh seht, fragt Euch: wo ist das Video, dass das Leben der Schweine ungeschminkt zeigt. Kann ich ohne große Klimmzüge mein Patentier bei Verein X besuchen? Oder muss ich auf sogenannte “Patentage” warten?
Wenn Ihr bei einem Lebenshof oder Verein zu Besuch seid: schaut Euch alles an. Ihr müsst nicht mit einem Zollstock bewaffnet sein. Augen und Verstand reichen. Und wenn es doch einmal nicht reicht: Google is your friend. Nach dem Besuch einfach den Hof auf Googlemaps aufsuchen und aktiv nachmessen. Einfach einen Rechtsklick auf die Map und per „Entfernung ausmessen“ das Grundstück abmessen. So einfach ist das, wenn man will.
Du entscheidest mit – also Scheuklappen absetzen!
Platz für Schweine ist für uns nicht nur ein Spruch. Weil jedes Leben zählt auch nicht. Aber wir wissen auch: Wir können nicht alle Schweine oder Tiere retten. Auch Du nicht. Und deswegen müssen wir als echte Tierschützer:innen und Tierrechtler:innen aufpassen, dass den Tieren, denen wir das Leben retten, ein würdevolles Leben zuteilwird.
Wir kennen einige Höfe, die das vorbildlich tun. Aber auch viele, die es nicht tun. Die Champions League der deutschen Lebenshöfe ist Euch sicherlich bekannt. Hof Butenland, Land der Tiere, Erdlingshof, um nur die bekanntesten zu retten. Was sie tun, ist vorbildlich: die geretteten Tiere leben ein volles Leben. Und die Geschichte dieser Tiere dient allen anderen als Multiplikator. Damit all den Tieren, die wir nicht retten können, etwas anderes hilft: niemals wegen des Nutzens der Menschen geboren worden zu sein!
Den meisten scheint es ausschließlich um Geldmehrung zu gehen, perfiderweise mit der Behauptung Tieren zu einem lebenswerteren Leben zu verhelfen, ohne darauf zu achten, dass es das auch wirklich sein wird.
Diejenigen vermeintlichen Tierschützer sind mit Sicherheit auch Abtreibungsgegner. Beides nimmt sich viel.
Was aus dem Artikel aber zu hinterfragen ist: Warum sollte der Tod keine Alternative darstellen, wenn die Umstände leider nur ein schmerzhaftes Leben der Tiere (oder auch Menschen) zuließen?
Gut bzw. überfällig wäre Antinatalismus (Zuchtverbot) und das Bestrafen der Tierzüchter wie Tierkonsumenten.
Um Tieren zu helfen, sollte Tierhandel also der Ver/kauf der Tierkörper und deren -teile ganz verboten werden. Auch explizit private und gerwerbliche Tierhaltung sollte als Verbot in einem Gesetzestext stehen um keine Lücke zu lassen, die Tierzüchter/Tierkäufer sicher ausnutzen würden.
Das hieße nicht bestehende Tiere sofort zu töten, sondern sich darauf zu konzentrieren ihnen ein lebenswertes Leben zu ermöglichen. Die Tierarten würden dann durch das Zuchtverbot nicht weiter leben bzw. leiden müssen, sie wären irgendwann ausgestorben, was nur die schlecht finden können, die mit dem lebenden Tier Geld oder in einer anderen Form Befriedigung erwerben.
Die Forderung Tiere weiter zu züchten oder die Fortpflanzung den domestizierten Tieren selbst zu überlassen – die Tiere wieder verwildern zu lassen, sodass sie wie ihre wilden Kameraden ums Überleben kämpfen müssen und wahrscheinlich von Jägern angeschossen werden dürfen, kann niemals ethisch sein.